Stephan Remmler
Zehn Jahre und drei Silben ist es her, seit Stephan Remmler mit „Da Da Da" der Neuen Deutschen Welle die Schaumkrone aufsetzte. Aus den „Trio"-Zeiten wurde ein Solo-Trip und aus dem ehemaligen Hauptschullehrer ein Dauerlieferant spröder Blödeltöne. MAX ließ sich von dem 46jährigen, dessen achtes Album im Frühjahr 1993 erscheint, seine Schweizer Wahlheimat Basel zeigen: Take a walk on the quiet side…
Welche Begrüßung erwartet man von einem Menschen, der auf „Barbarella" „Mortadella" reimt oder „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei" schmettert? Vielleicht „Turaluraluralu, ich bin Stephan, wer bist Du?" „Wir können ja was wandern gehn", sagt der schlaksige Mann im Trenchcoat am Baseler Flughafen, und hinter der Sonnenbrille kriechen Lachfalten hervor. Im schweren Mercedes quillt der Aschenbecher über, ein Gänseblümchen vertrocknet auf dem Armaturenbrett. Der Wandersmann steuert Richtung Rhein: Endlich Sauerstoff tanken nach 24 Stunden Flug aus Rio. Seine beiden Söhne Cecil, 4, und Jonni, 2, sind noch dort bei der Mutter, der brasilianischen Innenarchitektin Ilana, 35. Nicht angetraut, wohlgemerkt: „Heiraten ist der größte juristische Schritt im Leben, dann der Stress mit dem Ehevertrag - einfach nicht nötig."
Als Stephan Remmler die Frau seines Lebens vor sechs Jahren in München kennen lernte, hatte er sich gerade von „Trio" und dem nordischen Band-Standort Großenkneten abgeseilt: „Wir wollten ein halbes Jahr Pause machen und uns dann wiedertreffen, aber das Treffen fand nie statt." Dafür eine Solo-Karriere, die dem deutschen Liedgut solche Werke wie „Keine Sterne in Athen" und ihm dafür die Ehrenbürgerschaft des österreichischen St. Kathrein bescherte. Diese „neue deutsche Fröhlichkeit, bei der man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll", trat bundesätherweit die Nachfolge von Spaßigkeiten wie „Die Wanne ist voll" oder Mike Krügers „Nippel" an. „Dabei singe ich von Dingen, die oft überhaupt nicht komisch sind", wundert sich Remmler noch immer. „Mein Humor ist kein Witzeerzählen, sondern das Gegengewicht zur pathetischen Wichtigkeit deutscher Rockmusik. Wenn ich mir die hohle Luft von manchen anhöre, bin ich froh, dass ich nicht dazu gezählt werde."
Wenn BAP die „Kristallnacht" besang oder Herbert Grönemeyer (laut Remmler auch „Seine pünktliche Empörtheit") sich der Weltpolitik annahm, war das dem langen Stephan stets suspekt. „Da sang ich lieber ,Trink, trink, Brüderlein, trink' und diskutierte dafür am nächsten Tag ernsthaft: Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps." Doch jetzt hat er ein Lied geschrieben, „Mein Freund ist Neger" - aus dem Schock heraus, dass in Deutschland wieder Nazis marschieren. „20 Jahre lang habe ich gedacht, dass es schon viel ist, wenn man im eigenen Kreis was bewirkt", denkt Remmler nach und lässt sich auf eine Bank am Rheinufer nieder. „Jetzt blick' ich nicht mehr durch, was richtig ist." Er kickt einen Stein ins Wasser und sagt: „Du triffst mich verunsichert und ohne Antwort."
Weil er keine schnellen Antworten parat hat, lässt man ihn auch nicht wie die stets engagierten Polit-Barden reden. Als Willy Brandt starb, sollte Remmler in einer Talk-Show „BittebitteBarbarella" singen. Er wollte auf den Auftritt verzichten und lieber etwas Würdigendes über den Staatsmann sagen. „Der letzte Mohikaner - nicht nur so ein Wohlstandsverwalter. Seit ihm habe ich nie mehr gewählt." Aber ernste Worte eines Entertainers waren nicht erwünscht. Man lud Remmler wieder aus.
Der missverstandene Künstler? „Nein. Wenn ich mich darüber beklagen würde, dann würde ich ganz einfach die Klaviatur des Showbusiness nicht beherrschen." Und überhaupt, sein Image und so, daran groß rumzubasteln - „das ist mir zu blöd". Dass er auf Plattencovern manchmal herausgeputzt ist wie der kleine Bruder von Adriano Celentano, sei auch reiner Zufall: „Ich greif einfach in den Schrank." Überzeugender Beweis an diesem Tag: Turnschuhe, Anzughose, golddurchwirktes Indientuch zu einem Werbe-Jeanshemd seiner Plattenfirma („Doro - True at Heart"). Dass nichts an ihm so cool ist wie seine Lieder, macht Stephan Remmler ungemein sympathisch. Manchmal stockt er beim Sprechen oder weiß nicht, wohin mit seinen Händen. Nur wenn es um die Musik geht, hat man es nicht mehr mit einem nachdenklichen Individualisten, sondern bekennenden Profi zu tun. Weit entfernt von falscher Bescheidenheit betont Remmler, dass er schon mit sieben Jahren Elvis, Chuck Berry und Little Richard hörte und sofort wusste, ob es die Originalaufnahmen waren. Dass er lange vor „Trio" der „Mick Jagger der Unterweser" war und die Stones „aus dem Effeff" spielen konnte. Dass er heute mit den besten Musikern Deutschlands arbeitet und ihm keiner mehr was vormacht.
Selbst die Volksmusik sei ihm mit Jodel-Einlagen und Blaskapelle „etwas eher auf die Haare gefallen als den anderen". Aber „diese penetrante Fröhlichkeit, der verlogene Mitmachzwang: Das hat nichts mit Volksmusik zu tun, es ist nur zum Kotzen." Dass auf seinen Ausflug in die Nostalgie - eine Platte mit spartanischen Freddy-Quinn-Evergreens - weder Käufer noch Mighty Quinn begeistert reagierten, ist ihm „wurscht": „Das war ein stiller Traum von mir - mal nicht Lindenstraße zu machen, sondern Doktor Schiwago." Auch dass seine letzte Tournee mangels Kartenverkauf in kleine Clubs verlegt wurde, hat er weggesteckt: „Mal ist die Halle voll, mal nicht. Das ist bei Bands wie Status Quo genauso - und die machen das schon seit 25 Jahren." Er hat genug Geld verdient, um nie mehr arbeiten zu müssen. Er hat einen Welthit gehabt, und den spielt er auch heute noch gern. Da-da-das nennt man gelassen.
Am Rheinufer von Kleinbasel, der jüngeren Seite der Stadt und Remmlers morgendlicher Jogging-Route, frieren Junkies vor malerischen Häuserfronten. „Das reinste Elend", sagt der Sänger im Vorbeispazieren. „Wir haben das ja auch alles ausprobiert - Sex and Drugs bis zum Abwinken. Aber da hatte das noch mit Spaß und Bewusstseinserweiterung zu tun." Der Spaß ist nicht allen „Trio"-Gefährten so gut bekommen wie ihm. Kralle Krawinkel fällt in der Musikszene kaum und Peter Behrens bisweilen durch Drogenprobleme auf. Ein Tabu-Thema für den dritten Triologen. „Davon weiß ich nichts", weicht er aus. Doch übers Trinken redet er. „Periodisch" ereilt es ihn, mit entgiftenden Abstinenz-Tagen dazwischen. „Am schlimmsten ist es bei Fernsehauftritten, wenn man tagelang in Kantinen rumwartet und die Zeit totschlägt." Nervös macht ihn aber nur, „wenn ich ein Blackout habe. Dann sitze ich morgens da und weiß nichts mehr vom Abend vorher." Stephan Remmler grinst von einem abstehenden Ohr zum anderen: „Wenn ich Glück habe, erzählt mir jemand, was passiert ist." Nur seine Mutter, die ihn dankenswerterweise einst zu Klavierstunden zwang, blicke da nicht ganz durch: „Die kommt nur an Festtagen und sieht mich dann immer in so einem breiten Zustand."
Doch Muttern ist fern, und draußen wird es kalt. Wenige Meter entfernt liegt Stephan Remmlers Altbauwohnung. Seit er in der Großenknetener WG-Küche täglich mit Busladungen von Fans quatschte, hat er keinen Fremden mehr in seine vier Wände gelassen. „Da ist der Engelbert schon cleverer", schmunzelt der 46jährige und schließt dennoch die Zwergengeschmückte Wohnungstür auf. „Der mietet einfach eine Villa, lädt die Presse ein und sagt, ,hier wohne ich'." Die Wohnung wirkt so menschlich wie ihr Besitzer. Kleiderständer, unausgepackte Koffer, nichtaufgehängte Kunstwerke und bunte Kinderhüpfbälle zwischen hellen Polstern. Remmlers heißgeliebte Jungs sind überall - und wenn nur als Foto, das er als Lesezeichen in jedes Buch steckt. Zuletzt in Karaseks Biographie über Billy Wilder, die ihm nicht aus dem Kopf geht: „Der Mann hat so viel Leid erfahren, die ganze Familie wurde von den Nazis ermordet. Und trotzdem ist er ein warmherziger Komödien-Regisseur geworden."
Er schiebt eine Kassette mit den neuen Liedern ein, wippt vor dem Panoramafenster eckig dazu im Takt und schaut versonnen auf den düsteren Rhein. „Wenn ich mir vorstelle, was mit den rechtsradikalen Kids in Deutschland los ist", murmelt er, „und meine Kinder könnten vielleicht auch so werden…" In der Zimmerecke steht ein unausgepacktes Karaoke-Gerät. Mitbringsel für den vierjährigen Sohn. „Er liebt Elvis", lächelt der Vater, keine Spur mehr besorgt. „Und er singt schon alles auswendig."