Datum: 19-09-1996 Ausgabe: 39 Seite: 200 Autor: Meike Wöhlert
Mit einem gewagten Gassenhauer meldet sich Ex-»Trio«-Sänger Stephan Remmler zurück: Sein Song »Schweine-kopf« handelt von Kindersex. Alles hat ein Ende, nur Wurst hat zwei solchen Weisheiten hielt sich Stephan Remmler, 1982 mit der Gruppe Trio (»Da Da Da«) zu Ruhm gekommen, lange in den Hitparaden. Jetzt meldet er sich zurück – mit einem Problemsong. In der Single-Auskopplung aus seinem Solo-Album »Amnesia« geht es um Kinderprostitution in der Dritten Welt. Der Text vom »Schweinekopf« (»Dicke Arme, weißer Hängebauch, gib mir Dollars, und dann halt ich’s aus«) ist so brutal wie die Wirklichkeit, die Melodie so putzig wie »Alle meine Entchen«.
Stern: Wollten Sie ein Mißbrauchslied zum Mitschunkeln schreiben?
Remmler: Diese Frage habe ich mir nicht gestellt. Schlecht wäre das ja nicht. Und auch nicht geschmacklos Das Thema ist geschmacklos! Die Leute, die das tun, sind die Geschmacklosen!
Stern: »Schweinekopf« ist derzeit tragisch aktuell – ist Ihnen das unangenehm?
Remmler: Mein Song klingt beim ersten Hören ganz lustig, ist aber bitterböse gemeint. Wenn ich lese was mit den Mädchen in Belgien passiert ist, denke ich nicht mehr an mein Lied, sondern finde es nur schrecklich.
Stern: Sie beschäftigen sich nun mal mit einem schrecklichen Verbrechen.
Remmler: Darauf will ich ja hinaus: Die reichen Leute steigen in den Flieger, um für ihr Vergnügen Kinder ka-puttzumachen. Wie weit ich das in meinem Drei-Minuten-Lied deutlich machen kann, weiß ich nicht.
Stern: Haben Sie selbst einen Bezug zu dem Thema?
Remmler: Meine Frau ist Brasilianerin und wir haben drei Kinder, drei, fünf und sieben Jahre alt. Seit elf Jahren fahren wir jedes Jahr nach Rio und sehen, wie Kinder auf der Straße schlafen und Drogen verkaufen, statt zur Schule zu gehen. Welch kleine Verschiebungen des Schicksals doch dafür verantwortlich sind, daß diese Kinder auf dem Bürgersteig nicht meine sind!
Stern: Im Video zur Single wird das Mädchen zum Schluß befreit und der »Schweinekopf« verhaftet. Ende gut – alles gut?
Remmler: Natürlich nicht. Wir wollten das Thema nicht weichspülen, sondern Abscheu und Ekel zeigen. Der Zuschauer soll erschüttert sein, aber das Video trotzdem gerne sehen.
Stern: Die Realität ist nicht fernsehtauglich?
Remmler: Wir blenden zwischendurch Zahlen ein, wie viele Kinder sich prostituieren müssen. Das sagt dem Zu-schauer: Diese Rettung war ein Einzelfall.
Stern: Und wie ist die Zeile zu verstehen: »Weißt du nicht, die Zeiten ändern sich, Spielzeug ist nicht mehr genug für mich«?
Remmler: Die Phase des Überredens mit Kaugummi und Teddybär vom »guten Onkel« ist vorbei. Die Kinder wissen mittlerweile, was sie tun. Sie sagen, du Drecksack, leg zumindest dein Geld hin, wenn ich hier mit dir schon so’n Scheiß mache. Es ist nicht nur der Sextourist, der das Mädchen benutzt – sie benutzt ihn auch. Sie ist die Souveräne.
Stern: Wie bitte?
Remmler: Ja, sie ist die Stärkere, sie kassiert und weiß, daß der Mann Opfer seiner Schlechtigkeit werden wird. » Alle Mädchen sagen, weißer Mann, fahr nach Hause und steck die Gattin an«, heißt es im Text. Der Sextourist kriegt Aids.
Stern: Das bedeutet, daß das Mädchen selbst infiziert ist.
Remmler: So wörtlich sollte man diese 24 Zeilen nicht nehmen. Daß ein Kind, das sich halbprofessionell prostitu-iert einem leid tut, steht außer Frage. Der Mann soll in dem Lied aber auch Opfer werden, und zwar im Sinne von Moral, von Sünde.
Stern: Warum haben Sie eine harte und eine entschärfte Version produziert?
Remmler: Um den Radioleuten nicht das Argument zu geben, da kommt das Wort »Titten« vor, das können wir nicht spielen. Oder »Weiße Nudel unterm Hängebauch, gib mir Dollars, und dann steht er auch« – da heißt es dann: beim besten Willen nicht.
Stern: Wollen Sie sich jetzt auch bei Projekten gegen Kinderprostitution engagieren?
Remmler: Nein, ich bin Künstler, kein Sozialarbeiter.
Das Interview führte STERN-Mitarbeiterin Meike Wöhlert